Bolgheri Superiore - Spannungsbogen von Il Castellaccio bis Tenuta San Guido

Toskanische Küste: In aller Ohren klingt Sassicaia und Cabernet Franc

Foto oben: Gruppenbild mit Hund in der Tenuta San Guido - von links nach rechts mit Elena, Steffen, Priscilla, Carlo und Federica. Foto unten: Mit Alessandro Scpappini vom Weingut Il Castellaccio in der Osteria Magona für einen Absacker, Metzger Omar hält sich dezent im Hintergrund an der Bar.

Erst letztes Jahr besuchte ich Argentiera, Castello di Bolgheri, Ornellaia, Le Macchiole und Fornacelle. Die Botschaft war: Bolgheri ist sehr gefragt. Und aus den 800 ha Bolgheri DOC sind mehr als 1.400 ha Rebfläche geworden, obwohl das DOC-Kataster geschlossen ist. Wahrscheinlich hoffen einige Investoren darauf, dass die Weinberge nachträglich von IGT dann zu DOC aufgewertet werden...
Wie auch immer, Bolgheri erfreut sich einer Nachfrage, die nicht mehr nur auf ein paar Anführern wie der Tenuta San Guido, der Tenuta Ornellaia und Masseto oder Le Macchiole beruht. Im Vergleich zu den 2000er Jahren, als die Weine anderer Erzeuger sich sehr schwer taten, ist die Nachfrage nun auch in der Breite vorhanden und das zu Preisen von 40-50 € für den Superiore.
Dagegen haben es die Winzer der Nachbargemeinden Bibbona, Riparbella, Montescudaio im Norden und Suvereto mit Val di Cornia im Süden bei Weitem nicht so leicht. Es scheint, dass der Ruhm allein zwischen Bolgheri und Castagneto Carducci zu ernten ist. Mengenmäßig ist Marchese Antinori in Bolgheri mit seiner Kellerei Guado al Tasso nicht zu schlagen. Man munkelt, dass der Zweitwein Il Bruciato der meistverkaufte Rotwein aus der Toskana sei. Und ist er überhaupt ein DOC Bolgheri? Ja, das ist er! Und für seinen reinsortigen Cabernet Franc erzielt Antinori mit rund 400 € die Höchstpreise - um nicht zu sagen Mondpreise, die nur noch vom Masseto getoppt werden. Spekulation mit Kunst ist ja eine Sache, mit Wein dagegen? Das ist stets die Folge, wenn Kulturgüter zu Kult erhoben werden. Es ist schließlich der Markt, der diese Kapriolen produziert.

Bolgheri: Merlot ist "out", Cabernet Franc ist angesagt!

Für den Merlot ist es zu heiß in Bolgheri; zumindest in den meisten Lagen, sagen viele. Geradezu euphorisch gefeiert wird - von Kritikern wie von Winzern - die letzten Jahre der Cabernet Franc, der jedoch auch seine Tücken haben kann. In manch heißen Jahren liegt der Lesezeitpunkt sogar vor dem des Merlots; das wirft Fragen auf, oder? Aber im Geschmack ist ein reifer Franc genau das, was der Zeitgeist möchte. Bulgheroni, der argentinische Besitzer von Dievole hat in großem Stil nur diese Rebsorte in seinem neuen Weingut am Südrand der DOC Bolgheri gepflanzt und auch der österreichische Besitzer von Argentiera hat den Weinberg mit einem Hektar Franc zu seinem Spitzenwein auserkoren. Selbst Weinmacherlegende Axel Heinz, Ex-Weinmacher von Ornellaia und Masseto, gibt zu, dass er in den letzten Jahren mehr Franc als Merlot auspflanzen liess…

Kommen wir jedoch zurück zu meinem diesjährigen Besuch. Wieder einmal nahm ich mir zu wenig Zeit: ein guter Tag musste reichen zwischen Südtirol, Chianti Classico, Rufina und Collio. Zu Jammern gibt es da nix, denn ich habe mit der Tenuta San Guido und Il Castellaccio zwei Betriebe besucht, die stellvertretend für zwei Kategorien von Winzern sind. Leider klappte es nicht mit einem Besuch beim Sohn von Bolgheri Pionier Michele Satta…

Il Castellaccio - Feine Weine

Alessandro Scappini von Il Castellaccio kann sich glücklich schätzen, denn er lebt mitten im Grünen auf dem Hügelzug hinter dem Ort Castagneto Carducci, wo auch das bekannte Weingut Grattamacco gelegen ist. Dort hat er seinen Cabernet Franc in Alberello-Erziehung direkt im Auge und erreicht seine Kellerei unterhalb des Wohnhauses zu Fuß. 5 Ferienwohnungen ermöglichen auch den Gästen diesen einmaligen Ort zu erleben. Mit seinem Franc ist er schon ein Begriff in den Restaurants der Gegend, das konnte ich beim Besuch in der Osteria Magona, bzw. des „upperclass“ Restaurants „Il Macello di bolgheri“ erleben. Dort waren die Tische im Mai bereits mit Touristen gut gefüllt. Die urwüchsige Natur der toskanischen Küste ist ein erfreulicher Gegenentwurf zu dem pittoresken Chianti oder dem bäuerlichen, neureichen Montalcino. Dass man zu Sassicaia und Ornellaia nicht so einfach vorgelassen wird, erhöht den Reiz für die Weinfreunde…
Sommelier Manuel, ein gebürtiger Honduraner, der seit 2016 für Omar arbeitet, hat den Schlüssel für den Torre (ein Turm mit Wein) hinter dem Restaurant, wo der beeindruckende Weinkeller der beiden Restaurants zu finden ist. Ein Stockwerk mit Sassicaia und ein Stockwerk mit Ornellaia in Jahrgangstiefe, da leuchten die Augen aller! Il Macello di Bogheri ist übrigens ein Joint Venture vom Metzger Omar mit dem Metzger-Star Dario aus Panzano.

Neben dem ICON-FRANC Il Castellaccio und dem wichtigen Bolgheri Rosso Orio (Franc, Merlot, Syrah) setzt Alessandro als einer der wenigen auf Sangiovese, Cieliegiolo und Pugnitello, weil er diese Sorten in den kühleren Lagen des Anbaugebietes kultivieren kann. Mit Giorgio Meletti Cavallari, dem Sohn von Pionier Piermario, der sein Weingut Grattamacco an Claudio Tipa verkauft hat, tauscht er sich regelmäßig aus. Und im Keller betreut ihn kein Geringerer als er erfahrene Attilio Pagli.

Bolgheri profitiert von einem gewachsenen Tourismus von mehr als 40 Jahren, der zugegebenermaßen sich in den Campingplätzen der Pineta von Castagneto abspielte und dies immer noch tut. Doch auch hier hat sich schon viel verändert, wie die gewachsene Porsche-Dichte erkennen lässt. Ein „upgrading“ mit dem Angebot der Weine hat stattgefunden. 

Anders als in den exklusiven Hügellagen mit den kleinen Parzellen bestehen die Neupflanzungen der Weingüter auf der dem Meer zugewandten Seite der Via Bolgherese fast ausschließlich aus französischen Sorten. Meist wachsen dort die Bolgheri Rosso-Weine um die 20 €, für die Superiore-Weine sind die Weinberge in Hügelnähe reserviert. Viele Neupflanzungen müssen sich der Kritik stellen, dass die guten Lagen eigentlich aufgebraucht sind. Aber lassen wir diesen Gedanken los, ebenso wie die Klima-Diskussion im Zuge der heissen und trockenen Jahrgänge.

In der Tenuta San Guido 

Zum dritten Mal (in 25 Jahren) besuchte ich an diesem verregneten Tag im Mai 2023 das Weingut Sassicsaia; ach nein, das Weingut heisst Tenuta San Guido und der Wein mit einer eigenen DOC heisst Sassicaia! Soweit so gut! Einfach ist dagegen das Sortiment. Erstwein, Zweitwein, Drittwein oder eben: DOC Sassicaia, IGT Toscana Guadalberto und IGT Toscana Le Difese. Die Tenuta San Guido erzeugt damit keinen Bolgheri Rotwein (!!!) und ist doch der bekannteste Botschafter für diese DOC. (Anmerkung: So etwa wie Montevertine in Radda von Martino Manetti es für den Chianti Classico ist...)
Auch im Hause Tenuta San Guido – zumindest beim Erstwein - hat sich der Preis vom 2015er zum aktuellen 2020er fast verdoppelt. Er kostet nun 270-280 € für den Weinliebhaber. Ein angemssener Preis - so finde ich - für einen Wein, der auch in der Stückzahl von fast 300 TSD Flaschen zugeteilt werden muss. Der eine Geschichte besitzt, die auf die sechziger Jahre zurückgeht, der die Qualitätsweingeschichte Italiens mitbestimmt hat usw.
Andere Winzer nehmen diese Summe auch für einen Wein, der keine zehn Jahre Expertise vorweisen kann - ohne jegliche Scham. Wir diskutieren ja nicht über die Preise, das macht der Markt. Wir erzählen, was beeindruckt. Und bei der Tenuta San Guido gibt es eben auch gegen Geld keine Weingutsführungen.... Die Tenuta ist ja nicht nur Weingut, sondern ein ECO-System mit fast 3.000 ha Land, einer Rennpferdezucht und nur 100 ha Weinbergen.

Ich probiere also mit dem Team und Direktor Carlo de Paoli die aktuellen Jahrgänge mit dem Le Difese 21, Guidalberto 21 und Sassicaia 20, und war wieder einmal von der Eigenständigkeit dieses ICON-Weines beeindruckt. Der Besuch ist allerdings zu relativieren, da ich kein Weinkritikerjournalist bin und deshalb an dieser Gelegenheit auch nur alle Schaltjahre teilnehme.

Wie schmeckt der Sassicaia 2020?

Ein warmes Jahr war 2020, das seinen Charakter hinterlässt. Jedoch scheinen die Klone, die seit 1948 ausgepflanzt werden und die altehrwürdigen Parzellen der DOC Sassicaia dem Wein stets ihren Stempel aufzudrücken. Da hilft die Formel 85%% Sauvignon und 15% Franc wenig bis gar nicht weiter, denn der Wein schmeckt eher wie ein Mix aus Cabernet mit Ciliegiolo oder sonst was Artverwandtem. 
Der IGT Le Difese ist ein Basiswein, der diesen Stil Sassicaia verkörpert, der eine ähnliche Schwingung besitzt (für den 21er gesprochen). Neben dem Cabernet aus Bolgheri speist er sich aus Sangiovese-Trauben aus Montespertoli und Rufina. Etwas aus dem Rahmen fällt anfangs der Merlot-CabSauv-Sangiovese-Blend Guidalberto, den ich womöglich aufgrund des Merlots im Blend schwer verorten kann (probiert kurz nach der Abfüllung). Mit Zeit im Glas entwickelt auch der Zweitwein den tpyischen Cabernet-Ausdruck von San Guido.
Auf solche Diskussionen muss sich Priscilla (verheiratet mit dem deutschen Adelsmann Prinz Heinrich zu Sayn-Wittgenstein), die seit einigen Jahren Niccolò (als das Gesicht des Weingutes) abgelöst hat, nicht einlassen. Zu beständig und zuverlässig arbeitet das Team und garantiert so den Fortbestand der Legende Sassicaia unter tatkräftiger Hilfe der Weinmedien und Kritiker, welche die Einzigartigkeit dieses Weines in Geschichten und Punkten fortschreiben. Vertikale Verkostungen organisiert die Familie Incisa della Rocchetta übrigens keine, das machen schon die vielen Fans dieses Weines. Und ja, es ist ein Problem, dass - selbst bei solchen Preisen - die Nachfrage das Angebot des Weines bei weitem übersteigt. Wie beim Besuch von Montevertine am Vortag sorgt die Tatsache für Verwunderung, dass die Weinkunden nach Aussage von Martino Manetti sich mehr für den Pergole Torte (180 €) interessieren als für den Chateaux-Wein Montevertine für 60 €. Bei der Tenuta San Guido ist die Spanne mit 280-39 € sogar noch deutlich größer, das Ergebnis aber das Gleiche…