Der Sommelierkurs Italienischer Wein 

Lektion 1 - Geschichte und Gesetze

 1 Weinland Italien - Einführung

Die meisten Bücher über Wein beginnen bei den Römern und ihrer Vorliebe für die Weinrebe und deren Verbreitung. Danach wird gerne zitiert, dass der ein oder andere Wein schon dem Papst bzw. berühmten, weltlichen Herrschern geschmeckt haben soll. Wir möchten die Geschichte nicht herabwürdigen, doch die moderne und letzten Endes aussagekräftige und für den heutigen Wein entscheidende Weingeschichte beginnt in Italien für viele Weine erst nach dem zweiten Weltkrieg. Wenige Weine, wie der Chianti oder der Barolo, besaßen davor schon eine über die regionalen Grenzen hinausreichende Bedeutung.
Lernziel: Mit den folgenden Lektionen lernen Sie nicht nur die Bedeutung und Faszination Italiens als Weinland kennen, Sie erwerben auch die Grundlagen zur Einordnung der verschiedenen Weine innerhalb Italiens.

1.1 Die Weingeschichte der letzten Jahrzehnte

Elementar für viele Anbaugebiete ist der Qualitätsfortschritt der letzten knapp 60 Jahre, der von Gebiet zu Gebiet recht unterschiedlich verlaufen ist. Daraus lässt sich viel ableiten bzw. es lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die heutige Situation ziehen. Zum Beispiel stand der Qualitäts-Weinbau in Sizilien Mitte der Neunziger Jahre noch am Anfang, während in der Toskana bereits die Superweine von der Presse gefeiert wurden. Natürlich variieren auch die klimatischen Bedingungen von Nord nach Süd und die Mentalität der Menschen und ihre Einstellung zum Weinmachen. Dies behandeln wir in den einzelnen Kapiteln detaillierter.

1.1.1 Die Sechziger und Siebziger

In den Nachkriegsjahren bis in die siebziger Jahre hinein diente der Wein zur Ernährung der Bevölkerung. Es wurden große Mengen Trauben pro Hektar geerntet und zu Alltagsweinen verarbeitet.
In diese Zeit fiel auch das Bestreben der Weingüter, ihren Anbaugebieten und Weinen einen festen, vom Gesetz geregelten Rahmen zu geben, was die verwendeten Rebsorten und vor allem die Gebietsgrenzen anging. Das Landwirtschafts-Ministerium in Rom war dafür zuständig; es definierte für jede Weinregion die Produktionsvorschriften (Disziplinar), in denen Grenzen, Rebsorten, Hektarhöchstertrag, analytische und sensorische Werte (Alkohol, Extrakt) festgelegt wurden. Die DOC, die kontrollierte Ursprungsbezeichnung, war geboren.

1.1.2 Die Achtziger und Neunziger

Ende der Siebziger begann dann das Umdenken, das von Pionieren, wie Lageder in Südtirol, Sassicaia in Bolgheri, Castello di Ama im Chianti und anderen angestoßen wurde und dem dann viele folgten. Die Winzer reduzierten die Erträge im Weinberg, investierten in moderne Kellertechnik und erzeugten bessere Weine durch mehr Frucht, mehr Konzentration, mehr Sauberkeit, weniger Fehler und mehr Ausdruck der unterschiedlichen Rebsorten. Waren die achtziger Jahre noch ein Jahrzehnt, in dem sich vor allem die Winzer des Friauls mit Weißweinen und die Winzer in der Toskana mit Rotweinen auszeichnen konnten, so waren die Neunziger dann ein beispielloses Jahrzehnt der Veränderung und Entwicklung. Hervorzuheben ist die unglaubliche Dynamik, ja Explosivität dieser Epoche, die vor allem von der Nachfrage nach Rotweinen geprägt war. Weingüter und Investoren steckten riesige Summen in neue Weinberge in der Maremma der Toskana bzw. in Kellereien in Apulien und Sizilien. 

Marktsituation - Zwei Stoßrichtungen
A) Vor allem die süditalienischen Regionen Apulien und Sizilien  wandelten sich vom billigen Fassweinlieferanten an norditalienische bzw. französische Weinkellereien zu Qualitätsweinerzeugern, die ihre besten Weine in der Flasche vermarkteten. Etliche Millionen Euro an Investitionen flossen in neue Kellereien und neue Weinberge mit dem Ziel, den preiswerten, von der Sonne verwöhnten Weinen aus Chile und Australien Paroli zu bieten.
B) Die Erlöse der Weingüter in den bekannten Anbaugebieten im Piemont und der Toskana ermöglichten auch dort qualitätsorientierte Neuanlagen von Weinbergen und den Bau von Kellereien. Die Preise für die bekannten Rotweine zogen mit dem Erfolg und der Nachfrage deutlich an. Preistreiber waren bis zum Ende des Jahrzehntes der Barolo im Piemont und der Brunello di Montalcino in der Toskana.

1.1.3 Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends und ein Ausblick

Für die Italiener war das erste Jahrzehnt kein Leichtes, denn die Euroeinführung Ende 2001 und die Finanzkrise 2008 sorgten in den wichtigen Exportmärkten Europa und Amerika für Absatzeinbrüche. Die Konsolidierung dauert noch an, denn die neuen Absatzmärkte in Asien und Südamerika wachsen langsam. Die Eurokrise 2012 mit schwacher Inlandsnachfrage machte den Winzern dann zusätzlich noch einige Jahre zu schaffen.

Der Markt spaltete sich in die erfolgreichen Winzer mit Bekanntheit und die unbekannten Weingüter, die sich deutlich mehr strecken müssen. Den zigtausenden Familienweingüter fehlt im wachsenden Online-Handel die Präsenz bzw. die Sichtbarkeit, wenn sie nicht über die Weinführerbewertungen punkten können. Große Weinmarken wie die Winzer der Vereinigung Grandi Marchi (IGM) oder andere Weingüterallianzen sind in der modernen Distribution klar im Vorteil.

Berühmte Winzer bzw. bekannte Weinmarken

Grandi Marchi - Alois Lageder aus Südtirol, Ambrogio e Giovanni Folonari Tenute aus der Toskana, Antinori aus der Toskana, Argiolas aus Sardinien, Biondi Santi Tenuta Greppo aus der Toskana, Ca' del Bosco aus der Lombardei, Carpenè Malvolti aus Venetien, Donnafugata aus Sizilien, Gaja aus dem Piemont, Jermann aus dem Friaul, Lungarotti aus Umbrien, Masi aus Venetien, Mastroberardino aus Kampanien, Michele Chiarlo aus dem Piemont, Pio Cesare aus dem Piemont, Rivera aus Apulien, Tasca d'Almerita aus Sizilien, Tenuta San Guido aus der Toskana, Umani Ronchi aus den Marken.

Eine weitere Vereinigung ist die Italian Signature Wines mit Allegrini aus dem Veneto, Planeta aus Sizilien, Frescobaldi aus der Toskana, Feudi di San Gregorio aus Kampanien, Masciarelli aus den Abruzzen, Villa Sandi aus dem Veneto, Fontanafredda aus dem Piemont und Arnaldo Caprai aus Umbrien.

In diesen Aufzählungen und Vereinigungen fehlen aus Weinwelten-Sicht die Weingüter La Spinetta, Elio Altare, Bruno Giacosa und Braida im Piemont, Castello di Ama, Fontodi, Barone Ricasoli, Ornellaia, Casanova di Neri, Pian dell Orino in der Toskana, Cantina Terlan, Kellerei St. Michael-Eppan, Cantina Tramin in Südtirol und Venica & Vencia, Josko Gravner im Friaul, Giacomo Conterno, Ferrari, Poliziano, Romano dal Forno und weitere 50 Kellereien in ganz Italien. Die berühmten und angesagten Kellereien finden Sie zu jeder Weinwelt im Weintipp aufgelistet. Kultwinzer außerhalb der bekannten Anbaugebiete jeweils am Ende der Artikel zu den Weinregionen in der Top-100 Kategorie, z. B. Wein im Piemont, Wein in der Toskana etc.. 

Genossenschaften - Es gibt mehr als 500 Betriebe, am höchsten ist ihr Anteil an der Weinprodution in Sizilien und den Abruzzen mit rund 80%, es folgen Trentino-Südtirol und Emilia-Romagna. Sehr viele Genossenschaften gibt es auch in Apulien und dem Piemont, doch ist ihr Anteil an der Gesamtproduktion mit rund 30% eher gering. Die besten Genossenschaften, die mit den meisten, hochprämierten Topweinen, sind in Südtirol zuhause.

Zu den umsatzstärksten Unternehmen zählen etliche Genossenschaftszusammenschlüsse wie Cantina Riunite/CIV/GIV und Caviro, gefolgt von Mezzacorona und Cavit im Trentino. Die größten Privatunternehmen sind Fratelli Martini, Marchese Antinori, Botter und Zonin.

PROGNOSE - Es ist anzunehmen, dass der Markt wenig Raum für neue Weingüter lässt. Weiterhin ist denkbar, dass sich die Nachfrage verändert, dass sich das Augenmerk der Weinliebhaber weniger auf Superpremiumweine als vielmehr auf gutschmeckende Alltagsweine im einstelligen Eurobereich richtet. Nach den Erfolgen der Weine aus dem Süden ist zu erwarten, dass die Weinliebhaber sich wieder mehr den etablierten Weinregionen Toskana, Venetien und Piemont zuwenden. Verkaufsschlager, wie der Primitivo, Valpolicella Ripasso oder der Prosecco werden weiterhin sehr erfolgreich sein. Ein Revival des Chianti, angeführt vom Chianti Classico, ist zu erwarten. Soave mag gegenüber dem populären Lugana aufholen, der Pinot Grigio bleibt trotz der Einführung der DOC schwer zu verorten (siehe auch Tops und Flops 2018).

Übung 1.1: Das Jahrzehnt 1990 - Schreiben Sie in Stichworten auf, was die Neunziger Jahre im Weinland Italien kennzeichnete.

1.2 Begriffe, Definitionen, Zahlen des italienischen Weins

Zahlen sind natürlich wichtig, um die Bedeutung eines Weines bzw. einer Weinregion einzuordnen. Bekommen Sie ein Gefühl für die Zusammenhänge bzw. relativen Verhältnisse der Weine untereinander. Alles bis auf die letzte Stelle nach dem Komma auswendig zu wissen, ist nicht gefragt.

1.2.2 DOCG oder DOP

Ein älterer Ansatz in der Weinlehre ist die Aufzählung aller DOCG-Anbaugebiete Italiens, den wir hier bewusst nicht wählen. Denn er sagt nichts über die Bedeutung im Markt aus. Die Zahl der DOCG-Weine hat in den letzten Jahren im Zuge der Weinmarktneuordnung der EU rapide zugenommen. Zudem war es in der Vergangenheit nicht immer gewährleistet, dass diese Weine wirklich strenger kontrolliert wurden als andere. Mittlerweile hat sich dies in Italien grundlegend und positiv verändert. Die Basis sind eine Reihe von neuen Gesetzen bzw. die Weinmarktordnung der EU von 2009, die den Konsortien (Winzerverbänden) mehr Kontrollbefugnis (vom Weinberg bis zur Abfüllung) gibt und die Gesetzgebung europaweit regelt. Natürlich finden alle Neugierige diese komplette Liste der DOCG-Weine auf weinwelten, gewichtet nach Bedeutung. Ein Studium kann hilfreich für den Zusammenhang sein. Unser Zugang ist im folgenden die Behandlung der marktrelevanten Weine für Italien und insbesondere im deutschsprachigen Markt.

Die Eckpunkte der Produktionsvorschriften:

Produktionsvorschriften regeln Anbaugebietsgrenzen, zugelassene Rebsorten, Hektarerträge, Reifezeit im Keller, Alkoholgehalt, Extraktwert und einiges mehr:

• DOCG und DOC gekennzeichnete Weine, sind Weine mit relativ enger Herkunftsbezeichnung und Produktionsvorschrift. Sie dürfen sich weiterhin auf dem Etikett so nennen, weil Bestandsschutz besteht. Beide Herkünfte werden in der neuen europaweiten Regelung nun als DOP (Denominazione di origine protetta) – als geschützte Ursprungsbezeichnung - bezeichnet. Alle diese Weine tragen ein nummeriertes Gütesiegel bzw. Banderole, das vom Landwirtschaftsministerium für die beantragte Menge des jeweiligen Weins und Winzers ausgegeben wird. 

• IGT, die Abkürzung steht für eine weitläufigere Herkunftsbezeichnung, wie z. B. Veneto oder Toskana und ist nun in IGP (Indicazione geografica protetta) umbenannt worden. Auch hier gilt der Bestandsschutz für die IGT-Kategorie. Diese Weinkategorie vereinte und vereint nun Weine mit weitgefassten Produktionsvorschriften aus sehr großen, meist regionalen Anbaugebieten (Toscana oder Apulien). Hektarhöchstertrag und Verkostungen zur Kontrolle des Weinstils sind nicht vorgesehen.

• Die Kategorie VDT (Tafelwein, Vino da tavola) verliert an Bedeutung und ist sehr selten auf Flaschenweinen zu finden. Hier darf keine Rebsorten genannt werden. Vino generico bleibt ein Massenwein im niedrigsten Preissegement, der meist als Fasswein gehandelt wird oder als Tetrapak-Wein in den italienischen Supermärkten steht. Doch tragen auch diese Tütenweine heutzutage meist eine IGP-Kennung.

Hinweis: Im Text verzichten wir grundsätzlich auf die Nennung der Klassifikation DOP (DOC oder DOCG) bzw. IGP (ehemals IGT). Zur Tabelle der größten DOP-Herkünfte geht es hier entlang.

Übung 1.3 Begriffe im Disziplinar - Suchen Sie im Glossar von WEINWELTEN folgende Begriffe und machen Sie sich ihre Bedeutung klar – Superiore, Classico, Riserva, Passito.

Konsortien - Die Winzer in Italien sind in Verbänden organisiert, die ursprünglich für die Einhaltung der Produktionsvorschriften gegründet wurden. Mehr und mehr haben sie dann auch die Funktionen des Marketings für das Anbaugebiet übernommen. Sie organisieren die Messen in aller Welt für die Winzer und informieren auf den Webseiten über das Gebiet und die Entwicklungen. Das Chianti-Classico-Konsortium hatte in den achtziger und neunziger Jahren eine Vorbildfunktion für viele. Im Norden fanden sich die Winzer früher zusammen; der Süden folgt dieser Entwicklung langsamer. Mitunter sind es private Zusammenschlüsse von einem Dutzend Winzer oder mehr, welche die Marketingfunktionen übernehmen.

Zusammenfassung

Die Weingeschichte der letzten 60 Jahre liest sich wie ein spannender Krimi, daraus lässt sich viel über die heutigen Qualitätsweine ableiten. Italien ist reich an eigenen Rebsorten und Anbaugebieten, dank der unterschiedlichen Historie, dem Klima, der Kultur der Menschen und dem Know-how bei der Weinbereitung. All dies sind Grundlagen, die in den Weingeschmack hineinspielen. Da gibt es viel zu entdecken und zu lernen. Begriffe und Zahlen gehören nun einmal dazu, um die Bedeutung der einzelnen Weine voneinander abzugrenzen und zu unterscheiden; dafür haben wir hier die Grundlagen gelegt. Um das das Wissen zu festigen, ist es ratsam, das Erlernte noch einmal für sich zu sortieren, in eigenen Worten aufzuschreiben und die einzelnen Begriffe und Definitionen wie Vokabeln zu lernen. Das macht natürlich mit einer Flasche Wein und einigen Freunden noch mehr Spass!

FÜR STATISTIKFANS - DIE 5 Tabellen mit den Rebflächen der Regionen und aller DOP-Weine, sortiert nach Rebsorten/Anbaugebieten bzw. politischen Regionen. Welche Bedeutung bzw. Rebfläche die unterschiedlichen DOP-Weine von Apulien oder der Toskana besitzen, das ist dort abzulesen!

+ Die Tabelle mit den Weinmengen der italienischen DOP-Weine im Jahre 2016.