Montefalco – Die Region im Umbrien 

Rozsika berichtet aus dem Sagrantino-Land

Montefalco ist ein malerisches Provinznest, das dem Kreis der „borghi più belli d’Italia“, der schönsten Städtchen Italiens, angehört. Man hat hier einen seltsamen Rotwein, den Sagrantino, der als „wildes Pferd“ verschrien ist und den kaum einer trinken kann, weil er mehr Tannin hat alle übrigen Reben zusammen. Ein paar Winzer immerhin erreichen es, dass der Wein sich so entwickelt, dass er – so nach acht bis zwölf Jahren – ein einigermaßen gezügeltes Tannin hat, aber noch keine Alterungsnoten. Wie schwierig das ist, kann man bei der jährlich stattfindenden Anteprima di Montefalco Sagrantino auf der Zunge spüren. Denn bei vielen geht das „zu jung, zu unreif“ nahtlos über in Alterungsnoten bei anhaltend ungestümem Tannin. So könnte man Montefalco beschreiben, wenn man nur einen oberflächlichen Blick darauf wirft. Einerseits.

Presidente in Flipflops

Andererseits ist das umbrische Städtchen südlich von Perugia, in Sichtweite von Assisi gelegen und wegen der erhabenen Lange auch als „Balkon Umbriens“ bezeichnet, ein Beispiel dafür, wieviel Erneuerungskraft in der Provinz stecken kann. Denn hier passiert gerade viel Aufregendes. 
Wie groß der Umbruch ist, wird augenfällig in der Person des aktuellen Präsidenten des Konsortiums, der seit August 2021 im Amt ist. Wer im repräsentativen Versammlungsraum auf der Suche nach dem Präsidenten nach einer gesetzten Persönlichkeit inmitten all der Anzugträger Ausschau hält, wird ihn zwangsläufig übersehen – denn es ist der zaundürre Zappelphilipp in Flipflops, der wirkt, als habe er sich in die Runde verirrt. 
Dass sie den gewählt haben statt einen der beiden Gegenkandidaten, die in jeder Hinsicht das Alteingesessene, Würdevolle, Etablierte repräsentieren, zeigt, wie groß der Wunsch nach Aufbruch ist. 

Umbriens Antwort auf den Riesling?

Gianpaolo Tabarrini, nach Aussagen eines Winzers „ein Vulkan“, ist tatsächlich so etwas wie ein Genie. Er war einer derjenigen, die den Trebbiano spoletino auf die Weinlandkarte brachten. Eine Rebsorte, der gerade kurz vor dem Aussterben war. Mit dem Trebbiano toscano oder abbruzzese hat sie nichts gemein. Anscheinend hat man in früheren Jahrhunderten gern alles, was weiß und kein Malvasia war, als Trebbiano bezeichnet. 
Der hier jedenfalls ist anders, und was ihn auszeichnet, ist vor allem seine kraftvolle Säure, die ihn dazu befähigt, gut zu altern. Montefalcos Antwort auf den Riesling nennen ihn manche Winzer selbstbewusst. 

Erfolg mit unbekanntem Weißwein: Nun ist aber die Rebsorte dadurch, dass sie so gut wie vergessen war, quasi neu, und die Winzer müssen den Umgang mit ihr erst wieder lernen. Das tun sie mit Erfolg. Von Jahr zu Jahr werden die Spoletini besser, trotzden sind sie häufig noch ein wenig rustikal. Nicht so bei Tabarrini. Von seinem Auftreten her könnte man bei ihm einen exzentrischen, kantigen Wein erwarten, stattdessen macht er den delikatesten, feingliedrigsten, elegantesten Trebbiano spoletino von allen. Auch sein Montefalco Sagrantino, das „wilde Pferd“, ist bei ihm eher ein Lipizzaner von vollendeter Eleganz. 
Zurück zum Spoletino: Mit dem unbekannten Weißwein ging Tabarrini vor Jahren auf die Vinitaly und ließ ihn probieren, immer ohne vorher bekanntzugeben, um welche Rebsorte es sich handelt. Der Wein überzeugte, Bestellungen trudelten ein, und im Folgejahr konnte Tabarrini sich von den Einnahmen auch ordentliche Korken leisten, den ersten Jahrgang hatte noch mit schäbigen Plastikstopfen verschlossen. Trotzdem ist der 2004, dieser erste Jahrgang, immer noch gut trinkbar. 

Gemeinsam stark

Umbrien steht immer schon im Schatten der illustren Toskana. Toskanisches Öl, toskanische Weine stehen in Sachen Prestige ganz oben. Umbrien wirkt daneben weniger glanzvoll, eher wie der rustikale kleine Bruder der weltläufigen Heimat eines Leonardo oder der Medicis. 
Auch in Sachen Marketing sind sie westlich von Umbrien top. Jedes Jahr im Februar begibt sich ein gewaltiger Tross nach Florenz, Montepulciano und Montalcino, die drei Städte, die die weltweit gefeierten toskanischen Rotweine repräsentieren: Chianti, Vino Nobile und Brunello. Deren Konsortien haben sich zusammengetan und präsentieren sich gemeinsamen, was ihnen eine enorme Durchschlagskraft verschafft. 
In Umbrien – und eben auch in Montefalco – arbeitete bisher jedes Anbaugebiet für sich allein. Das soll sich ändern, und Tabarrini, kaum gewählt, unternahm erste Schritte in die Richtung und organisierte im Anschluss an die Präsentation in Montefalco eine Exkursion nach Orvieto. 

Spielerisch erneuern: Zudem ließ er eine App kreieren, die ermöglicht, dass von den aus aller Welt nach Montefalco angereisten Journalisten jeder sein persönliches Besuchsprogramm absolvieren kann. Eine extreme logistische Herausforderung: Eine Flotte aus Vans und Limousinen kutschiert die über zwei Dutzend Hotels und Agriturismi verteilte Journalisten zu den gewünschten Weingütern. Sechs am Tag können so besucht werden. Das klappt erstaunlich gut, auch wenn es – wie bei einer vollkommen neuartigen App zu erwarten – auch mal kurzfristig klemmen kann. 
Was Tabarrini auch geschafft hat: Er hat die Abschlussveranstaltung nach vier Tagen intensiven Weinprobierens, sonst eine langatmige Versammlung, die erst endet, wenn nicht nur alles gesagt ist, sondern auch von jedem, entschlackt. Als erstes spricht der Bürgermeister, der noch am längsten redet. Kürzer fasst sich bereits die Präsidentin der Region Umbrien, und nachdem der presidente selbst an der Reihe ist – in T-Shirt und Flipflops neben dem Bürgermeister im feinen Zwirn – und seinen leidenschaftlichen Vortrag mit dem Satz beendet hat, dass Machen besser ist als Reden, kann kein anderer mehr Redezeit für sich beanspruchen. 
Die Veranstaltung ist vorbei und auf geht’s zur munteren Abschiedsfeier mit reichlich Wein und umbrischen Spezialiätten im lauschigen Innenhof des an der Hauptstraße gelegenen ehemaligen Klosters. Im Kreuzgang sind Kicker und Billardtische aufgestellt: Viel verändern und dabei spielerisch zu Werke gehen, das ist der Stil des neuen presidente.